Schlinge der Schuld

Henrys zweiter Fall wäre wohl kein echter Kilmer, wenn sich neben einer schwierigen Ermittlung nicht auch ein Stück seiner Vergangenheit auftun würde. Garantiert schürt die Formulierung „ein Stück“ größere Erwartungen, als ich zu befriedigen vermag. In Schlinge der Schuld präsentiert sich Henrys Vergangenheit nicht wie das Innere einer geöffneten Auster. Vielleicht wäre hier das Diminutiv „ein Stückchen“ treffender. Denn mehr als ein Stückchen seiner Vorgeschichte wird sich zwischen den Buchseiten nicht offenbaren. Bestenfalls ist es mir möglich, so viel über Henrys Vergangenheit zu veröffentlichen, wie ihm selbst bewusst ist oder im Laufe des Romans bewusst wird. Henry ist auf der Flucht vor seinem früheren Ich, und somit macht er es mir nicht gerade leicht.

Er scheut die Bilder, die sich in seinem Innern entblättern; die Schnappschüsse von versifften Garagen, von einem Freund, den er jahrelang belog, von einer unheimlichen Gestalt, die er „Walkman“ zu nennen pflegt. Stattdessen belebt er mit fast schon manischer Obsession die Erinnerung an einem Mitschüler namens Patrick Kramer.

Wer die Kilmer-Romane gelesen hat, wird diesen Buben wohl mit einer üblen Schikane assoziieren: Das Ausdrücken von Zigaretten auf jüngeren Kindern. Dabei ging Patrick sehr geschickt vor, denn er drückte die Glimmstängel hinter den Ohren aus, wodurch die Brandwunde für die Außenwelt verborgen blieb. So bot Patrick seinen Opfern immerhin die Möglichkeit, die Folter vor Lehrern und Eltern zu verschweigen und noch schlimmeren Bosheiten zu entgehen.

Schon bei seinem allerersten Auftritt in Sünderblut erinnert sich Henry an diesen Patrick. Während einiger Stresssituationen scheinen sich seine Gedanken geradezu an dem „Schrecken seiner Kindheit“ festzubeißen; wieder und wieder beschwört er den Übergriff mit der glühenden Zigarette herauf. Die Frage, die er sich nicht zu stellen wagt, lautet jedoch: Verhindert die Erinnerung an dieses grauenhafte Szenario nicht den Blick auf das eigentliche Grauen?

Der Walkman ist nach Henrys Worten ein Mann in einem langen Mantel und einem Walkman am Gürtel; später kommt in seiner Beschreibung noch ein Paar lebloser Augen hinzu. Die Begegnung zwischen Henry und diesem Fremden erfüllt zunächst die größte Sehnsucht des Grundschülers. Du hast einen Feind in deinem Viertel, jemand, der dir tagein tagaus auflauert. Du fühlst dich ohnmächtig, gegen diesen Menschen aufzubegehren. Du fühlst dich zwar klein und bedeutungslos, bist aber dennoch nicht unsichtbar genug. Dein Feind sieht dich, wie er auch vor dir andere, schwächere Kinder gesehen hat. Der Walkman löst Henrys Konflikt mit Patrick – ein für alle Mal. Ein Traum geht in Erfüllung. Doch nicht anders als Kohlenmunk-Peter in Das Kalte Herz bemerkt Henry erst viele Jahre später, mit wem er sich tatsächlich eingelassen hat. Aus der schattenhaften Gestalt des Fremden formt sich von Sünderblut hin zu Schlinge des Todes Henrys Nemesis. Nicht plötzlich und zur Gänze, sondern eben stückchenweise.

Inhalt: Ein Kommissar mit düsterer Vergangenheit und ein skrupelloser Täter …
Henry Kilmer ermittelt in seinem zweiten Kriminalfall

Eine junge Frau wird nach einer Party von einem Auto überfahren. Was auf den ersten Blick wie ein Routinefall aussieht, gewinnt schnell an Brisanz, als Untersuchungen ergeben, dass sie K.-o.-Tropfen im Blut hatte. Die Kommissare Henry Kilmer und seine Kollegin Linda Liedke werden auf den Fall angesetzt, der ausgerechnet die einflussreichste Familie der Stadt betrifft. War das ganze doch kein Unfall, sondern ein ausgeklügelter Plan? Auf einmal wird jeder Gast der Feier am Unfallabend zum Verdächtigen. Und schon bald führt die Ermittlung die beiden Kommissare zu einem weiteren Fall, der tiefe Abgründe offenbart …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Sündenspiel.