Heiden liest „Das Regime der Psychos“

Diesen Gesang kann ich nicht anstimmen, ohne meine eigene Unsicherheit kundzutun; vielleicht wäre jeder andere Anfang sogar vermessen. Zum zweiten Mal möchte ich Robert Bloch preisen, doch allein schon die Veröffentlichung von Das Regime der Psychos gibt mir Rätsel auf. Weder die salzlose Tiefe des Internets noch meine eigene Bibliothek konnten mir an dieser Stelle helfen. Folgendes geschah:

Im Jahre 1959 veröffentlichte das Magazin Amazing Sciene Fiction Stories seine Erzählung Sneak Preview, die auf dem Cover in dicken Lettern als „Book-Length Novel“ beworben wurde. In dieser Story geht es um Graham, einem Drehbuchautor in einem futuristischen Hollywood, der sich weigert, stumpfsinnige Space Operas zu verfassen, und gegen das System aufbegehrt. Vom Inhalt her scheint die Geschichte identisch mit jener des gleichnamigen Romans. Sneak Preview wurde 1971 als Einzelband veröffentlicht und drei Jahre später auf deutsch unter dem Titel Das Regime der Psychos. Da mir die besagte Originalstory aus dem Magazin nicht vorliegt, kann ich die Unterschiede zwischen beiden Publikationen nicht benennen. Das ist sehr schade, gerade in Bezug auf das Zeitgeschehen. Hat Robert Bloch die Handlung für die Romanfassung gestrafft, erweitert oder gar verändert? Hat Bloch später Sexismen abgemildert oder womöglich hinzugetan? Laut meiner Recherche soll die Story über ungefähr 40.000 Wörter verfügen, während der Roman im Deutschen 123 Seiten besitzt. Ungeachtet der Tatsache, dass Übersetzungen stets vom Original abweichen, scheinen sich die beiden Ausgaben hinsichtlich des Umfangs kaum zu unterscheiden. Dennoch bin ich mir sicher, dass neue, erst in den späten Sechzigern geschriebene Kapitel eingebaut wurden. Diese wenigen Seiten spielen für den Verlauf der Geschichte keine Rolle und sind zugleich jene Abschnitte, die mir besonders gefallen.

„Das Regime der Psychos“, Ausgabe Heyne 1974

Die Bevölkerung Nordamerikas lebt unter gläsernen Kuppeln, wo weder Konflikte noch Kriege wüten. Im Alter von 52 Jahren verlassen die Menschen diese Welt, um in einer fernen Siedlung als Sozialpensionäre ihr Dasein zu genießen. Graham – unser Held – ist jung, triebgesteuert und ein Talent. Als Talente werden jene Personen bezeichnet, die mit ihrer Kreativität und Fantasie die Unterhaltungsindustrie füttern. Gelenkt werden diese gezähmten Freigeister von den Psychos, und die wiederum studieren und koordinieren sämtliches Leben unter den Kuppeln. Das Regime der Psychos beruht auf Kontrolle. Freiheit ist nur so lange erfahrbar, wie sie nicht der psychiatrischen Lenkung zuwiderläuft. Nach außen hin gewährleistet dieses Kontrollsystem ein sorgenfreies Leben. Politik, Religionen und individuelle Freiheit existieren nicht mehr, auch keine Wirtschaft, die dem reinen Wettbewerb dient – allgemein nichts, was früher oder später zu Chaos und Rivalität führen könnte. Auf diese Weise bewahren die Psychos die Gesellschaft vor der Selbstauslöschung. Eines ihrer Instrumente ist hierbei die Gehirnwäsche.

Unser Held wird ebenfalls einer solchen Therapie unterzogen, einer Filmanalyse, die das Unterbewusstsein ungeschönt auf eine Leinwand zu projizieren vermag. Durch einen Zufall gelingt es Graham, die Therapie abzubrechen und mit einer falschen Identität zu fliehen …

Die erste Rückblende

Bei meiner Erstlektüre fühlte ich mich zunächst in die 1950er Jahre versetzt. Der Tonfall, insbesondere in den sexuellen Passagen, und die Ausgestaltung des Helden haben etwas altbackenes, bestenfalls einen Charme, der sich lediglich mit einem Augenzwinkern genießen lässt. Grahams Flucht wird durch zwei Rückblenden in die alte, von niedrigen Bedürfnissen geprägte Zeit unterbrochen. Deren Handlungsspielraum lässt sich auf das zwanzigste Jahrhundert eingrenzen. Die erste Rückblende ist mit Unsere glorreiche Zukunft betitelt. Auf zwei Seiten schildert Bloch, wie ein Soldat in einem Land, dessen Sprache er nicht versteht, verwundet und von Tieren aufgefressen wird. Offenbar war der Soldat in Korea oder Vietnam stationiert. Die Rückblende endet in Bloch’scher Manier mit einem Satz, lakonisch und profan. „So ist das im Krieg …“

Die zweite Rückblende trägt den Titel Die altmodische Religion. Hier präsentiert uns Bloch das Leben einer Frau vom ersten Weltkrieg bis in die Zeit des Vietnamkriegs. „Miss Abby war alt geboren worden“, so lautet gleich der erste Satz der Rückblende. Mit der spöttischen Stimme eines Robert Bloch in den Ohren kann man bereits das tragische Schicksal von Miss Abby erahnen.

Die zweite Rückblende

Zunächst wird in wenigen Sätzen Abbys Beziehung zu ihren Eltern umrissen (die gesamte Rückblende zählt gerade einmal neun Seiten). Ihr Vater stirbt früh an einem Herzinfarkt, ihre Mutter ist infolge eines Schlaganfalls gelähmt und sprechunfähig. Wir erfahren weiter, dass sie einen Mann namens Fred kennenlernt, der schon bald an einer Hirnhautentzündung verendet. Eckpfeiler dieses traurigen Lebens sind weniger die Liebesverhältnisse, sondern vielmehr die Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erster Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg, Atombombe und folgend (beinahe mit nahtlosem Übergang) der Koreakrieg. Da sie Gott in den tragischen Ereignissen nicht entdecken kann, kehrt sie der Kirche den Rücken zu. Abby entwickelt sich zu einer engagierten Frau: Sie unterschreibt Protestresolutionen gegen die Atombombe und kritisiert mit Leserbriefen den Krieg am 38. Breitengrad. All das verhallt ohne Echo, ohne Wirkung. Ab Mitte der 1960er Jahre verändert sich dann der Blick auf die Welt, auch für Miss Abby. Es tobt ein neuer Krieg, wieder in Fernost, doch diesmal berührt er viel stärker das Gewissen der amerikanischen Bevölkerung. Plötzlich scheint die Popkultur alles – völlig egal, ob Gleichgültigkeit und Ignoranz, ob Anteilnahme und Protest – zu illustrieren wie ein grelles Plattencover. Popkultur ist bei Robert Bloch oft ein zuckersüßes Gift, das vom Kapitalismus in Massen gebraut wird. Abby, Anfang fünfzig und unverdrossen engagiert, wendet sich in dieser Zeit der Jugend zu. „… sie sprachen von Liebe und Frieden, und das verstand Miss Abbey.“ Sie arbeitet mit Suchtgefährdeten und psychisch Kranken. Doch trotz dieser Aufgabe drehen sich für sie die Dinge immer schneller; die Sechziger Jahre weichen den Siebzigern und nun heißt es in knappen Worten: „Sie war müde geworden.“ Miss Abbys Lebenslauf nähert sich dem Ende, und sie wendet sich von der Jugend ab. Stattdessen findet sie wieder zu Gott, betet Abend für Abend und wartet auf ihren Erlöser, der schließlich in ihrer Tür erscheint. „Jesus Christus, mit einem Messer in der Hand …“

„Das Regime der Psychos“, Ausgabe Heyne 1974

Beide Rückblenden sind zum Niederknien, auch wenn sie ihrer Kürze wegen nicht jede Oberflächlichkeit vermeiden können. Für mich spiegeln diese neun Seiten den Robert Bloch ab Ende der Sechziger wider. Der Autor hatte die Fünfzig überschritten, vielleicht auch den Höhepunkt seines Ruhms. Hitchcocks Psycho lag ein Jahrzehnt zurück, galt mittlerweile als Klassiker und würde zumindest eines von Blochs Büchern nicht vergessen machen. Neben seinen Romanen und Kurzgeschichten schrieb er allerhand Drehbücher – mal für die britische Produktionsfirma Amicus, mal fürs TV. Doch Hollywood schien passé. Sobald Bloch seinen Verdruss auf die Traumfabrik und den Lifestyle in Los Angeles zur Literatur erhob, blitzte sein ganzes Können auf. So hätte das Kapitel um Miss Abby auch aus dem Roman Wahnsinn mit Methode stammen können. Unverhohlene Gesellschaftskritik umhüllt sich mit Sarkasmus und erfreut mich fünf Jahrzehnte nach der Veröffentlichung noch immer. Kritik am Zeitgeist ist bei Bloch aber nicht Neid oder bloßes Echauffieren; hier zeigt sich vielmehr seine Kritik am Kapitalismus, genaugenommen an jener Form, die jede Art von Gegenkultur kommerzialisiert und somit hinfällig macht.

Die Geschichte an sich, also Grahams Flucht und sein Aufbegehren, bietet einige Wendungen und am Ende reichlich Action, was sie an diesen Stellen unnötig naiv wirken lässt. Eventuell ist es der Ära geschuldet, in der die Geschichte ursprünglich publiziert worden war. Hervorzuheben ist noch das Phänomen der Gehirnwäsche, das sich nach dem Koreakrieg besonderer Popularität erfreute. Gern würde ich mich diesem modernen Mythos hier ausführlich widmen; nur leider würde es wohl den Rahmen sprengen. Ein paar Meisterwerke der Spionageliteratur klopfen bereits an meinen Hinterkopf und wollen sich Gehör verschaffen. Nein, hier und jetzt gilt es, die Stimme zu senken.

Letztendlich lässt mich Das Regime der Psychos ein wenig ratlos zurück. Mein angekündigter Gesang geriet rasch zu einem Stammeln, aber sollte dieses Stammeln dem Roman tatsächlich ein paar Minuten Aufmerksamkeit verschafft haben, so will ich mich nicht beklagen.